Todesschön by Angela Dopfer-Werner

Todesschön by Angela Dopfer-Werner

Autor:Angela Dopfer-Werner [Dopfer-Werner, Angela]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Gmeiner-Verlag
veröffentlicht: 2015-07-20T00:00:00+00:00


Es war bereits dunkel, als sie wieder in Latsch eintrafen. Ellinor hatte ihren Sohn und seine neuen Freunde ungeduldig erwartet, sie hatte Salat und einen Auflauf mit Gemüse und Kartoffeln vorbereitet und überfiel die jungen Leute schon in der Diele mit ihren Fragen zum Besuch bei Lenore.

»Ich muss noch kurz hinauf, mich umziehen und meine Hände waschen. Bin gleich wieder da.«

Leo wollte wenigstens für einen Augenblick allein sein. Und sie wollte die Worte aufschreiben, die Lenore sich mit so viel Mühe abgerungen hatte. Den anderen hatte sie noch nichts davon gesagt.

Sie kramte in ihrem Rucksack nach Papier und Stift und fand dabei ihr Telefon, das sie am Morgen hineingestopft hatte. Mit Absicht hatte sie es ausgeschaltet und nicht nach St. Medardus mitgenommen, um nicht gestört zu werden. Nicht von ihrer überbesorgten Mutter und nicht vom bemühten Dr. Mayr. Aber natürlich hatten sich beide im Laufe des Tages bei ihr gemeldet, der Augsburger erinnerte sie an ihr Treffen und freute sich auf den Ausflug nach Karthaus. Und Nora hatte sogar drei Nachrichten hinterlassen: Wo bist du, wie geht es euch, warum meldest du dich nicht? Markus hat auch schon nach dir gefragt. Seid ihr in Latsch oder in Meran? Geh endlich ans Telefon und ruf bitte zurück!

Markus auch. Der war doch in Hamburg und sollte sich gefälligst um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Leo seufzte. Sie musste sich bei ihrer Mutter melden, Nora würde keine Ruhe geben, solange sie keine Nachricht bekäme.

»Die Schatten unserer Familie werden dich immer einholen, egal, wo du bist und was du tust«, hatte sie letzte Woche gesagt. Leo wusste, dass Nora Angst um sie hatte. Zu Recht. Und dabei hatte sie nicht die geringste Ahnung von Valentin und der rothaarigen Frau und den mühsam gestammelten Worten der todkranken Lenore. Sie wusste ja nicht einmal, dass es Lenore überhaupt gab.

Lenores Worte: ›Beerengrund, Keller, zweiter Rom, eisen, eisern‹, mehr hatte Leo nicht verstanden. Sie schrieb alles auf einen kleinen Zettel und kaute dabei gedankenverloren auf ihrem Stift herum. Einen einzigen deutlichen Satz hatte die Kranke herausgebracht, mit allerletzter Kraft, bevor die Freunde wieder zur Quelle zurückgekehrt waren und Maria sich um die alte Frau sorgte. Ein einziger klarer Satz: ›Der Hüter war da.‹ Aber damit konnte Leo nicht das Geringste anfangen, sie hatte diesen Ausdruck noch nie gehört. ›Der Hüter war da.‹ Bedeutete das, dass Lenore im Keller von Burg Dornsberg nicht allein gewesen war? Dass jemand sie gestoßen hatte, dass ihr Sturz kein Unfall gewesen war?

Leo zwängte den Zettel in die kleine Tasche ihrer Jeans und stöhnte leise. Niemals würden sie und die Freunde es schaffen, das Geschehen in Dornsberg aufzuklären und damit die Rätsel der Vergangenheit zu lösen. Es war einfach viel zu lange her.

Sie stand auf, wusch sich die Hände und betrachtete dabei ihr Gesicht in dem kleinen Spiegel über dem Waschbecken. Erschöpft wirkte es, blass, aber die Augen samtblau und hellwach. Ein Mittelaltergesicht, dachte Leo, bleich, mit schweren Lidern, genau wie bei Eleonora von Thun heute auf dem Gemälde in der Spitalkirche. Du bist auch eine Eleonora, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu, eine in einer langen, langen Reihe.



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